Sollten Universitäten stärker als bislang Innovationen fördern?

Dies ist eine der Fragen in der aktuellen Debatte rund um das Thema Transfer. Marc Kley, Geschäftsführender Direktor des Gateway Exzellenz Start-up Center, sprach darüber mit Christoph Rosenkranz, Professor für Integrierte Informationssysteme an der Universität zu Köln. Rosenkranz hat sowohl in der Lehre als auch in der Forschung mehrere Kooperationen mit Unternehmen initiiert.
»Universitäten müssen ein Ökosystem schaffen, das innovative Ideen unterstützt.«
Was bedeutet Transfer in deinem Fachgebiet, der Wirtschaftsinformatik?
Die Wirtschaftsinformatik ist eine Disziplin, in der per se häufig mit Unternehmen oder Organisationen zusammengearbeitet wird. Der Begriff „Informationssysteme“ bezieht sich auf den Einsatz von Informationstechnologie in allen gesellschaftlichen Bereichen. Wir sind also immer mit Transfer beschäftigt – und das gilt in beide Richtungen: Zum einen greifen wir Fragestellungen aus Unternehmen und Organisationen für unsere Forschung auf, zum anderen kümmern wir uns auch um den Transfer unserer Forschungsergebnisse in die Unternehmen und Organisationen, mit denen wir kooperieren.
Wie sieht das konkret aus?
Wir bringen unsere Ergebnisse in die Unternehmen und Organisationen ein und unterstützen bei Fragen, die mit der Anwendung unserer Forschung zusammenhängen.
Aber wir gehen auch den umgekehrten Weg: Wenn wir mit verschiedenen Interessengruppen aus Gesellschaft und Industrie zusammenarbeiten, versuchen wir immer, Fragestellungen und auch Daten aus dem Feld zu bekommen.
In der Transferdebatte sind sich alle Beteiligten einig, dass wir mehr von der Forschungsexzellenz an unseren Universitäten in praktische Anwendungen überführen müssen, um langfristig den Wohlstand in Deutschland sichern zu können. Kooperationen der Forschung mit Unternehmen und Organisationen gelten dabei als wichtige Modelle.
Wie könnten wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dazu motivieren, solche Kooperationen einzugehen?
Für mich persönlich gibt es keine Anreize durch externe Mechanismen. Von unseren Kooperationen profitiere ich nicht direkt, sondern bin eher intrinsisch motiviert. Zu meinem Selbstverständnis als Universitätsprofessor gehört es, Wissen an die Gesellschaft weiterzugeben und, umgekehrt, nach Fragen und Bedürfnissen der Gesellschaft zu suchen und sie in die Hochschule hineinzutragen.
Universitäten könnten ihre Arbeit besser machen, wenn die Weitergabe von Wissen und die Suche nach gesellschaftlich relevanten Themen explizit Teil der Stellenbeschreibung von Professoren wären. Sie sollten dies in ihre Strategie einbeziehen und operative Maßnahmen mit Anreizsystemen verknüpfen.


Lass uns über das Capstone-Projekt sprechen, das du initiiert hast, und bei dem du in der Lehre bereits mit Unternehmen zusammenarbeitest. Sie stellen reale Aufgaben, an deren Lösung Studierende in Teams arbeiten, und stehen in regelmäßigem Austausch mit ihnen. So sammeln die Studierenden wertvolle Erfahrungen bei der Teamarbeit, beim Umgang mit Kund*innen und bei der Entwicklung innovativer Lösungen. Das Capstone-Projekt kann als echte Erfolgsgeschichte bezeichnet werden. Kannst du dir solche Kooperationen auch für die Forschung vorstellen?
Ja, wir arbeiten bereits seit Langem auch in der Forschung mit Unternehmen zusammen. Für Doktorand*innen etwa haben wir ein Programm mit Partner*innen aus der Industrie aufgelegt, in dem wir gemeinsam finanzierte Projekte durchführen.
Ein Beispiel: Wir kooperieren eng mit einer regionalen Versicherungsgesellschaft. Dabei arbeiten die Doktorand*innen im ersten Jahr hauptsächlich im Unternehmen, bevor der schrittweise Übergang zur Universität erfolgt. Zunächst lernen sie im Unternehmen, welche Probleme wirklich wichtig sind, und dann an der Universität, wie sie diese wissenschaftlich und unabhängig angehen können. Das klappt gut, alle Seiten profitieren von der Zusammenarbeit.
Welche Vorteile bieten Kooperationen?
Am Kölner Institut für Wirtschaftsinformatik arbeiten wir auch in einer Form mit Unternehmen zusammen, bei der wir als Wissenschaftler*innen zunächst eine Forschungsagenda aufstellen. Wir entscheiden jedoch gemeinsam mit dem Unternehmen, welches Problem wir angehen. Dabei wollen wir Fragen bearbeiten, die nicht nur für das Unternehmen und uns, sondern auch für weitere Forscher*innen von Interesse sein können.
Diese Projekte haben wir durch Verträge institutionalisiert, die etwa den Datenschutz regeln. Solche Kooperationen sind nicht einfach zu bewerkstelligen, und es bedarf einiger Koordination, um die Rahmenbedingungen festzulegen. Aber dafür erhalten wir eine Fülle an Daten, die nicht nur für Doktorand*innen, sondern auch für uns Forschende hilfreich sind. Daten, die uns sonst nicht zugänglich wären.
»Zu meinem Selbstverständnis gehört es, Wissen an die Gesellschaft weiterzugeben und, umgekehrt, nach Fragen und Bedürfnissen der Gesellschaft zu suchen und sie in die Hochschule hineinzutragen.«
Was bringt die Zusammenarbeit darüber hinaus noch für die Wissenschaft?
Probleme der realen Welt aus wissenschaftlicher Sicht zu lösen, ist wirklich sehr befriedigend. Außerdem – wie bereits erwähnt – erhält man Zugang zu Daten, die man sonst nicht bekommen würde. Solche Daten kann man nicht einfach durch öffentlich zugängliche Netzdaten ersetzen.
Doch ich sehe noch einen weiteren Vorteil: Normalerweise reden wir darüber, dass Unternehmen Talente von der Universität bekommen. Ich betrachte es auch umgekehrt: Viele meiner talentiertesten Doktorand*innen haben zunächst in Unternehmen gearbeitet, mit denen wir kooperieren, und sich dann für eine Promotion entschieden.
Sind Universitäten Orte der Innovation? Falls nicht: Was wäre nötig, um Innovationen dort besser zu fördern?
Innovationen hervorzubringen, ist eine wichtige Aufgabe von Universitäten – aber nicht die einzige. Da Forschung oft unvorhersehbar ist, kann und sollte man nicht sämtliche Forschungsvorhaben auf Innovationen hin planen; das funktioniert nicht.
Ich bin mir nicht sicher, ob eine Universität gezielt Anreize schaffen sollte, um Innovationen im unternehmerischen Sinne zu fördern. Es ist nicht der Hauptzweck von Forschung, innovative Lösungen zu finden. Aber ich denke, dass Universitäten ein Ökosystem schaffen müssen, das innovative Ideen unterstützt – wo auch immer sie entstehen. Dabei geht es nicht nur um die Unterstützung von Studierenden, Doktorand*innen und Forschenden, sondern auch um die Beratung der Fakultäten, wie sie innovative Ideen nutzen können.
Warum denken Wissenschaftler*innen oder Doktorand*innen selten über Start-up- oder Spin-off-Projekte nach?
Die meisten Promovierenden haben nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Sie kümmern sich um ihre Daten, um die rechtzeitige Fertigstellung ihrer Arbeit, um einen festen Vertrag und all diese Dinge. Sie sind sich vielleicht auch nicht bewusst, dass die Gründung eines Unternehmens eine Option sein könnte, oder streben eine akademische Position an.
Lösungen zu entwickeln und ein Unternehmen zu gründen, kommt hin und wieder vor – aber es ist nicht der Standardweg. Ein weiterer Grund könnte sein, dass wir in unseren Promotionsprogrammen keine Kurse zum Thema Unternehmertum anbieten. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir bereits frühzeitig mit Unternehmen zusammenarbeiten und alternative, ebenfalls spannende Karrierewege aufzeigen.
»Probleme der realen Welt aus wissenschaftlicher Sicht zu lösen, ist wirklich sehr befriedigend.«
Pure Magie:
Prof. Dr. Rosenkranz veröffentlich selbst zahlreiche Fachbeiträge. Insgeheim hält er allerdings Fantasyroman-Autor Terry Pratchett für den unterstützesten Autor der Gegenwart.
Mehr Infos zu den Forschungsthemen von Prof. Dr. Rosenkranz & Co. gibt es hier.
