Deutsch Logo

Gemeinsam Grenzen verschieben

Von Manuel Heckel
Fotografie Nathalie Bothur

Foto von Andreas Mischok der ein zweifarbiges Glas in der Hand zur Kamera hinhält.

Hinter vielen Forschungserkenntnissen verstecken sich Ideen mit großem Potenzial für das echte Leben. Doch ein kluger Gedanke verwandelt sich nicht einfach so in eine vielversprechende Gründung. Auf diesem Weg benötigen Wissenschaftler*innen die angemessene Förderung, die passende Finanzierung – und vor allem die richtigen Begleiter*innen. 

Die große Vision ist kleiner als eine Ein-Euro-Münze: Dieses kompakte Format soll die Erfindung von Andreas Mischok einmal annehmen – und damit für eine Revolution in Labors, Pharmafirmen und medizinischen Einrichtungen weltweit sorgen. Der Postdoktorand arbeitet an einer kleinformatigen und vor allem deutlich kostengünstigeren Alternative zu heutigen Fluoreszenzmikroskopen, den Standardinstrumenten für die Untersuchung von Gewebe oder Organzellen. Dafür kombinieren der promovierte Photophysiker und seine Kollegen einen herkömmlichen Kamerachip, wie er auch in Smartphones verbaut ist, mit einem selbst entwickelten sogenannten Polariton-Filter. Dieser Dünnschicht-Farbfilter sorgt dafür, dass sich die Auflösung der Aufnahmen verbessert und das Sichtfeld vergrößert. Zudem ist der Blick aus jedem Winkel ohne eine Verzerrung möglich. 

So groß die Vision ist, so lang ist der Weg. Vor einigen Jahren legte das Team um Mischok im Labor von Professor Dr. Malte Gather die Grundlagen, vor drei Jahren begannen dann die ersten Tüfteleien. Wenn alles glatt läuft, gelingt es bis Ende 2025, ein erstes funktionierendes Modell von seinem „Labor-auf-dem-Chip“ zu entwickeln. „Eine Patentanalyse hat uns gezeigt, dass unsere Lösung einzigartig ist“, berichtet Mischok. „Jetzt geht es darum, das Ganze zu verwirklichen.“ 

Bild von einem Gewächshaus in dem viele bunte blühende Blumen im Vordergrund stehen. Im Hintergrund rechts sieht man Ernesto Llamas, der sich die Pflanzen anschaut.

Mit mehr Systematik zu mehr Start-ups 

In vielen Fällen schaffen es Start-ups frühestens mit der ersten Finanzierungsrunde, eine breitere Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen. Doch wenn es um hochtechnologische Gründungen geht, dann ist bereits zuvor viel passiert: Zu Beginn steht der Fortschritt der Wissenschaftler*innen, der in der Regel auf jahre- oder jahrzehntelanger Arbeit basiert. Dann müssen sie erkennen, allein oder im Austausch mit anderen, dass sich ihre Erkenntnisse in irgendeiner Art und Weise nutzen lassen – dass für ihre Idee ein Sprung vom Labor ins echte Leben möglich ist. Und schlussendlich müssen sie motiviert sein, die ersten vorsichtigen Schritte in Richtung Gründung selbst gehen zu wollen. 

Lange Zeit war all das ein wenig Zufall: Gewährt ein*e Professor*in ausreichend Freiräume für gründungswillige Mitarbeiter*innen? Lassen sich irgendwo Finanzmittel auftreiben, die die Wissenschaftler*innen über die ersten Jahre tragen? Kennt zufällig jemand eine*n Unternehmer*in, die Lust auf eine Zusammenarbeit hätte? Doch mittlerweile ist die Erkenntnis bundesweit gereift: Ohne systematische Unterstützung gehen große Potenziale in den sogenannten Deeptech- und Hightech-Bereichen verloren. 

Die gute Nachricht: Inzwischen existieren Strukturen, die genau die sensible Schnittstellenarbeit übernehmen. Im Gateway Exzellenz Start-up-Center der Universität zu Köln bespielsweise arbeiten seit einigen Jahren sechs sogenannte Transferscouts. Sie sind jeweils einer Fakultät der Hochschule zugeordnet – und dienen als eine Art Übersetzer*in zwischen Wissenschaft und wirtschaftlicher Verwertung. „Es ist wichtig, dass die Wissenschaft nicht nur in der akademischen Wolke unterwegs ist“, sagt Dadhichi Paretkar, der sich als Transferscout in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät bewegt. „Es ist wichtig, sie mit der Welt der Wirtschaft zusammenzubringen.“

Paretkar und seine Kolleg*innen kennen sich nicht nur in den jeweiligen Forschungsgebieten aus, sondern bringen häufig auch Industrieerfahrung mit. So sind sie nah dran an den Entwicklungen und Erfindungen, werben für den Transfer und sind Ansprechpartner*innen für die Forscher*innen mit Ambitionen, ihre Erkenntnisse in eine konkrete Anwendung zu überführen. Die Transferscouts helfen bei diesen wichtigen ersten Schritten. Ganz ähnlich den Nachwuchsscouts in Sportarten wie Fußball, die immer ausschwärmen, um frühzeitig Talente zu entdecken und zu fördern. Wo ein Wille ist, lässt sich viel erreichen. Gegen den Willen ist nichts zu machen. „Im Fahrersitz sitzen immer die Wissenschaftler*innen“, betont Paretkar, „manche wollen das Risiko tragen, andere eben nicht.“ 

Vom Schottenrock zu Laborhandschuhen: Andreas Mischok lebte drei Jahre lang an der schottischen Ostküste. Nun versucht er noch mindestens einmal im Jahr die grüne Hügellandschaft zu besuchen.

Foto von Andreas Mischok der die Arme verschhränkt an einem Geländer lehnt und lächelt.

Neuer Alltag, neue Herausforderungen

Denn klar ist: Der Taktwechsel vom Forschungsfokus hin zu einem konkreten Produkt verlangt den Beteiligten viel ab. „Als Forscher neigt man dazu, ein Thema sehr eng zu denken“, sagt Mischok. Bei seinen vorherigen Stationen in Dresden und im schottischen St. Andrews arbeitete er schon in anwendungsoerientierten Teams – doch als es darum ging, den Filter konkret auf einen Marktnutzen zu überprüfen, änderte sich sein Alltag. „Zu der reinen Forschungsarbeit ist Marktforschung und Patentrecherche dazugekommen, das war schon eine große Umstellung“, erklärt Mischok. 

Die Prioritäten verschieben sich auf diesem Weg, da in der Wirtschaft andere Kennzahlen wichtiger sind als in der Wissenschaft. War es zuvor darum gegangen, aus Experimenten neue Erkenntnisse für Paper – die harte Währung der Forschungswelt – abzuleiten, standen nun andere Fragen im Vordergrund. „Unabhängig von der wissenschaftlichen Relevanz schauten wir auf die Eigenschaften unserer Erfindung“, erinnert sich Mischok. 

Zu den Schritten auf diesem Weg gehört auch immer wieder zu erkennen, was nicht geht. Zunächst dachten Mischok und seine Kolleg*innen etwa daran, organische Laser zu entwickeln und sich auf deren Potenziale für die Praxis zu konzentrieren. Doch die waren häufig instabil, schwer zu kontrollieren, gingen schnell kaputt. „Für die Forschung war das extrem spannend, aber es ist schwierig, die Laser in eine konkrete Anwendung zu bringen.“ Stattdessen rückten zwei andere Ziele in den Blick der Wissenschaftler*innen. Zum einen die Mikroskopie, zum anderen der Einsatz der Filter in spezialisierten Sensoren, wie sie unter anderem in der Automobilindustrie eingesetzt werden. 

Foto aus einem Labor in dem auf einem Regal und einem Tisch viele beschriftete Flaschen stehen.
Erneste LLamas steht im Labor und schaut sich eine der vielen dort wachsenden Pflanzen genauer an.

Bereit sein für die andere Welt

Schon in den frühen Phasen dieses Weges müssen die Wissenschaftler*innen dabei das Labor verlassen. Das bedeutet auch: eine neue Sprache zu finden für das, worüber man sich bislang nur mit Fachkolleg*innen ausgetauscht hat. „Wenn man seine Idee anderen Menschen vorstellt, muss man diese erst einmal ein Stück weit übersetzen“, sagt Mischok. Er erinnert sich gut an seine Aufregung vor den ersten sogenannten Pitch-Präsentationen: Wie viel wissenschaftliche Exaktheit muss mit herein in den Vortrag? Wie bringt man den Enthusiasmus über seine Erfindung angemessen rüber? Der Austausch mit den Gateway-Transferscouts half ihm, die richtige Sprache zu finden. Dazu kam reichlich Übung zuhause: „Da habe ich viel Zeit reingesteckt, viel vor Freunden geübt, die nichts mit dem Thema zu tun hatten“, sagt Mischok.

Ganz ähnlich ging es Ernesto Llamas. Der gebürtige Mexikaner forscht seit 2018 in Köln daran, Erkenntnisse aus der Pflanzenbiotechnologie in die Humanmedizin zu übertragen, insbesondere in die Altersmedizin. 

Alles begann mit der Entdeckung, dass Pflanzen keine Krankheitssymptome zeigen, wenn sie ein Fragment des Proteins produzieren, das die neurologische Krankheit Huntington verursacht. Bei Menschen gilt diese Krankheit als unheilbar, und die Lebenserwartung liegt nach Ausbruch zwischen 15 und 20 Jahren. In ersten Versuchen konnte Llamas bereits nachweisen, dass das entscheidende Pflanzenprotein bei Fadenwürmern dafür sorgt, dass sie weniger Symptome aufweisen.

Vom Labor zum Pitch

Ein vielversprechender Ansatz für die Wissenschaft und ein hoffnungsvoller Weg für Patient*innen mit dieser oder anderen neurologischen Erkrankungen. Schon nach einer ersten Veröffentlichung meldeten sich zahlreiche Betroffene und deren Angehörige mit drängenden Nachfragen. Ein anderer „Schlüsselmoment“ laut Llamas, diese Idee intensiver weiterzuverfolgen, war jedoch ebenfalls: der Auftritt bei einem Pitch-Wettbewerb. Im Herbst 2023 trat der promovierte Biotechnologe, der am Cluster of Excellence on Plant Sciences (CEPLAS) im Labor von Professorin Dr. Alga Zuccaro arbeitet, mit nur wenigen Tagen Vorbereitungszeit bei einer solchen Veranstaltung auf. Zuvor war er im Eiltempo von den Transferscouts und anderen Gateway-Mitarbeiter*innen in Präsentationstechniken geschult worden. Der Lohn: ein zweiter Platz. Und jede Menge neugierige Anfragen und Gesprächsangebote.

Seitdem hat sich auch Llamas Alltag geändert. „Früher saß ich im Labor und habe Paper geschrieben, heute fühlt es sich eher wie eine Management-Aufgabe an“, sagt Llamas. Er spricht mit Patentanwält*innen, Investor*innen, Unternehmensvertreter*innen, anderen Start-up-Teams. „Es ist ein viel dynamischeres Arbeiten, ich lerne eine Menge dazu“, sagt Llamas. Gefördert und auch gefordert wird er dabei immer wieder von den Transferscouts. „Wir spielen da manchmal den ‚Anwalt des Teufels‘ und halten in Gesprächen bewusst dagegen, um die angehenden Gründer*innen herauszufordern und auf intensive Verhandlungen vorzubereiten“, sagt Paretkar.

 

»Als ein besonders prominenter Absolvent von GO-Bio gilt etwa der mRNA-Spezialist Biontech.«

Ernesto Llamas steht im Labor und arbeitet in passender Arbeitskleidung.

Rückendeckung durch Fördermittel

Im Zusammenspiel mit anderen Einrichtungen der Universität können die Transferscouts auch bei einer weiteren wichtigen Frage helfen: Wie lässt sich die sensible Phase, in der eine grundlegende Entdeckung auf ihr grundsätzliches Marktpotenzial abgeklopft werden muss, finanziell überbrücken? Denn hier klafft häufig eine Lücke: Die Forschungsarbeit endet oft in schriftlichen Ausarbeitungen, private Investor*innen wollen dagegen mindestens einen konkreten Prototypen sehen, anfassen, testen können.

Doch um zu verhindern, dass die Erkenntnisse aus der Spitzenforschung im Elfenbeinturm verstauben, gibt es passende Förderprogramme. Sowohl Mischok als auch Llamas werden aktuell durch das Programm „Gründungsoffensive Biotechnologie“ (GO-Bio) unterstützt – die Mittel stammen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Als ein besonders prominenter Absolvent von GO-Bio gilt etwa der mRNA-Spezialist Biontech, der mittlerweile einen Börsenwert von etwa 25 Milliarden Euro hat. 

In verschiedenen Förderstufen können die Wissenschaftler*innen so ihre Idee weiterentwickeln und testen. Los geht es dabei mit dem Abschnitt „Initial“. Llamas befindet sich beispielsweise in der einjährigen „Sondierungsphase“, in der es darum geht, konkrete Verwertungsmöglichkeiten zu entwickeln und ihre Erfindung rechtlich abzusichern. Da kann es etwa um eine Patentanmeldung gehen oder um die „Freedom-to-operate“-(FTO)-Recherche, die ausführliche Untersuchung, ob es weltweit bereits Schutzrechte gibt, die einer eigenen Ausarbeitung im Wege stehen. 

Weiter geht es mit der „Machbarkeitsphase“. Bei Llamas ist diese bereits bewilligt und fängt bald an, das Team rund um Mischok steckt bereits mittendrin. Innerhalb von zwei Jahren soll ein sogenanntes Proof-of-Principle entstehen – der Beleg, dass sich die Idee konkret in ein Produkt verwandeln lässt. Mischoks Ziel ist es, anschließend einem Biologen ein erstes linsenfreies Kleinformat-Mikroskop in die Hand geben zu können.

Sorgfältig die nächsten Schritte planen

Bis zur wirklichen Marktreife fehlen jedoch noch zahlreiche Schritte. Bei Llamas stünde der lange Weg der Medikamentenentwicklung an, bei dem mehrere kosten- und zeitintensive Studienreihen anstehen. Bei Mischok geht es noch darum, aus hoch individuellen Konstruktionen seriell fertigbare Produkte herzustellen. Heutige hochwertige Fluoreszenzmikroskope beginnen bei etwa 100.000 Euro, berichtet Mischok – das eigene Produkt könnte irgendwann für um die 100 Euro zu haben sein. „Das würde zu einer deutlichen Erweiterung des potenziellen Nutzerkreises führen“, sagt er. Anstatt die Untersuchung auf wenige Labore zu konzentrieren, könnte medizinisches Personal die Mikroskope zu den Patient*innen mitnehmen. Das „Mehr an Geräten“ könnte so den Zugang zu medizinischer Versorgung weltweit verbessern. 

Vorerst ist jedoch noch viel Geduld, Ausdauer und Frustrationstoleranz nötig, bis aus der Anfangsidee ein rentables Unternehmen werden kann. „Einige Kolleg*innen entwickeln da eine gewisse Ungeduld“, erklärt Mischok. „Ich sehe das entspannt und bin bereit, die nächsten drei, vier, fünf Jahre viel Arbeit reinzustecken.“ Klar ist jedoch: Irgendwann – ob in naher oder ferner Zukunft – werden die Ideen von Mischok, Llamas und vielen anderen Kölner Wissenschaftler*innen die Welt der Universität verlassen.

Zwischen Sicherheit und Speed

Dort draußen, in der freien Wirtschaft, locken andere Verdienstmöglichkeiten, schnellere Wachstumsmöglichkeiten, raschere Entscheidungsmöglichkeiten. „An der Hochschule dauern viele Dinge natürlich länger“, sagt Mischok. „Wenn ich hier Testmuster bestelle, dauert es ein paar Wochen. In der Industrie sind die morgen da.“ Doch dieser Schritt will sorgfältig vorbereitet sein. 

Denn der bürokratische Mehraufwand an einer Universität geht auf der anderen Seite mit einer gewissen Stabilität einher. Über Förderrichtlinien wie GO-Bio sind die ersten Entwicklungsschritte und manchmal auch die Gehälter der ersten Mitarbeiter*innen finanziert. Der direkte Zugang zu Laboren, Kolleg*innen, Konferenzen ist in der Regel nur eine freundliche Mail entfernt. 

Und auch wenn die eigene Motivation hoch ist, schnell und effizient voranzukommen: Die Geduld, auf verwertbare Ergebnisse zu warten, ist im Hochschulkontext häufig ausgeprägter als bei Investor*innen, die klare Renditeerwartungen haben. „Als unabhängiges Start-up ist man wahrscheinlich agiler“, sagt Mischok, „doch aktuell sind wir an der Uni genau richtig.“ Der nächste Schritt ist aber bereits gemacht: Kurz vor Weihnachten hat das Team einen Antrag auf den EXIST-Forschungstransfer gepitcht – und das erfolgreich.